Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen,
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter.
Zwei fremde Augen, ein kurzer
Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? Vielleicht dein
Lebensglück ...
Vorbei, verweht, nie wieder.
Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang, die
dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt,
du hast's gefunden,
nur für Sekunden ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer
Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? Kein Mensch dreht die
Zeit zurück.
Vorbei, verweht, nie wieder.
Du musst auf deinem Gang
durch Städte wandern,
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Er sieht hinüber
und zieht vorüber ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer
Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das?
Von der großen Menschheit ein
Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.
Der Panther (Rilke)
Sein Blick ist vom Vorübergehn der
Stäbe
so müd geworden, dass er nichts
mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe
gäbe
und hinter tausend Stäben keine
Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker
Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise
dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine
Mitte,
in der betäubt ein großer Wille
steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang
der Pupille
sich lautlos auf. Dann geht ein
Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte
Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Der Graben (Tucholsky)
Mutter, wozu hast du deinen
aufgezogen?
hast dich zwanzig Jahr mit ihm
gequält?
wozu ist er dir in deinen Arm
geflogen,
und du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn dir weggenommen haben,
für den Graben, Mutter, für den
Graben.
Junge, kannst du noch an Vater
denken?
Vater nahm dich oft in seinen Arm.
Und er wollt dir einen Groschen
schenken,
und er spielte mit dir Räuber und
Gendarm.
Bis sie ihn dir weggenommen haben,
für den Graben, Junge, für den
Graben.
Drüben die französischen Genossen
lagen dicht bei Englands
Arbeitsmann.
Alle haben sie ihr Blut vergossen,
und zerschossen ruht heut Mann bei
Mann.
Alte Leute, Männer, mancher Knabe,
in dem einen großen Massengrabe.
Seid nicht stolz auf Orden und
Geklunker!
Seid nicht stolz auf Narben und die
Zeit!
In die Gräben schickten euch die
Junker,
Staatswahn und der
Fabrikantenneid.
Ihr wart gut genug zum Fraß für
Raben,
für das Grab, Kamraden, für den
Graben!
Werft die Fahnen fort!
Die Militärkapellen
spielen auf zu eurem Todestanz,
Seid ihr hin: ein Kranz von
Immortellen
das ist dann der Dank des
Vaterlands.
Denkt an Todesröcheln und Gestöhne
Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
schuften schwer, wie ihr, ums
bißchen Leben
Wollt ihr denen nicht die Hände
geben?
Reicht die Bruderhand als schönste
aller Gaben
übern Graben, Leute, übern Graben.
Die Todesfuge (Celan)
Schwarze Milch der Frühe wir
trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens
und trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den
Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt
mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach
Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor da
Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt
schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum
Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir
trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und
mittags und trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt
mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach
Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir
schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng.
Er ruft stecht tiefer ins Erdreich
ihr einen ihr anderen singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er
schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen
ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf
wir trinken dich mittags und
morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein
goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er
spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der
Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen
dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den
Wolken da liegt man nicht eng
Schwarze Milch der Frühe wir
trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod
ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens
wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus
Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel
er trifft Dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein
goldenes Haar Margerete
er hetzt seine Rüden auf uns er
schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und
träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith
Spruch des Konfuzius (Schiller)
Dreifach ist der Schritt der Zeit:
Zögernd kommt die Zukunft
hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt
entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.
Keine Ungeduld beflügelt
ihren Schritt, wenn sie verweilt,
Keine Furcht, kein Zweifel zügelt
ihren Lauf, wenn sie enteilt.
Keine Reu, kein Zaubersegen
kann die Stehende bewegen.
Möchtest du beglückt und weise
Endigen des Lebens Reise,
Nimm die Zögernde zum Rat,
nicht zum Werkzeug deiner Tat.
Wähle nicht die Fliehende zum
Freund,
nicht die Bleibende zum Feind.